• Sie sind hier:
  • Startseite
  • Update
  • 1/2016
  • Dimensionen und Handlungsspielräume der Professionalisierung von Hochschulräten

Dimensionen und Handlungsspielräume der Professionalisierung von Hochschulräten


1. Was bedeutet "Professionalisierung"?


Was heißt es, wenn Hochschulräte sich "professionalisieren"? Was macht Professionalisierung überhaupt aus? Professionen sind zunächst einmal soziale Gemeinschaften, deren Mitglieder etwas können, was andere (nicht professionalisierte) eben nicht oder nicht so gut können. Das macht sie in ihrem Betätigungsfeld zu Experten. Nicht selten ist hoher Professionalisierungsgrad auch verbunden mit besonderem Ansehen und hoher Handlungsautonomie.

Angelehnt an die soziologische Diskussion lassen sich fünf Dimensionen der Professionalisierung festhalten:
  • Spezielles Wissen und spezielle Kompetenzen führen zu einer klar umrissenen Rolle/Aufgabe, die strukturell verankert ist.
  • Der Zugang zur Profession ist an spezifische Anforderungen gebunden; ein Auswahlverfahren stellt die spezifischen Kompetenzen/das spezifische Wissen sicher.
  • Es gibt klare, besondere Wege der Aus- und Weiterbildung zur Entwicklung der Kompetenzen.
  • Es existieren gemeinsame, professionelle Standards, die gemeinsame definiert und eingehalten werden, sowie eine kollektive Berufsethik, eine identitätsstiftende Community (zum Beispiel einen Verband) und nicht zuletzt ein übergreifendes Selbstverständnis.
  • Es gibt professionsspezifische Support-Strukturen, die Arbeitsfähigkeit sicherstellen.

Bei bestimmten Berufsgruppen (etwa bei Ärzten, Architekten und Anwälten) sind diese Dimensionen unmittelbar nachvollziehbar. Kennzeichen der bereits erfolgten Professionalisierung sind etwa die Entwicklung eines gemeinschaftlichen, professionsspezifischen Wissenskorpus‘, gemeinschaftlich entwickelte, bindende Qualitätsstandards, zertifizierte Ausbildungswege, strikte Kontrolle des Marktzutritts und eine intensive Vernetzung/Artikulation von Interessen. Aber lässt sich solch ein Professionalisierungskonzept auf den Hochschulkontext und auf Hochschulräte übertragen?


2. Professionalisierungsdiskussion im Hochschulkontext


Unter Hochschulforschern (zu nennen sind hier unter anderem Georg Krücken, Ulrich Teichler und Barbara Kehm) wird lebhaft über die Professionalisierung im Wissenschaftsmanagement diskutiert. Die Debatte kreist meist um zwei Führungsebenen: Die Hochschulleitung und neu umrissene Rollen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Management.

Manche Tendenzen der Professionalisierung sind klar erkennbar:
  • Früher wurde der Posten des Rektors rotierend besetzt nach dem Motto "Da muss jeder mal ran". Inzwischen ist es eine attraktive Karriereoption, Präsident (oder generell Mitglied der Hochschulleitung) zu werden, für die spezifische Kompetenzen nötig sind.
  • Etwa im Bereich der Qualitätssicherung, des Fundraising oder des Fakultätsmanagements sind neue Berufsbilder entstanden. Für diese Berufsgruppe wurde die Bezeichnung die "Hochschulprofessionellen" vorgeschlagen (ob sich dieser Begriff durchsetzen wird, bleibt aber abzuwarten ...)
  • Zunehmend etablieren sich spezielle Ausbildungswege (etwa MBA-Programme für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement wie an der Hochschule Osnabrück).
  • Auch die Gründung einer spezifischen Community, etwa des Netzwerks Wissenschaftsmanagement e.V., und die Erarbeitung eines Kodex‘ für Wissenschaftsmanager weisen in Richtung "Professionalisierung".

Andere Merkmale der Professionalisierung sind bislang eher noch nicht gegeben, zum Beispiel eine klare Abgrenzung eigenständiger Karrierewege – das Hochschul- und Wissenschaftsmanagement befindet sich also offensichtlich derzeit mitten in einem Prozess der Professionalisierung.

Die diesbezügliche Forschung berücksichtigt die Hochschulräte bislang übrigens kaum. Die zu Beginn skizzierten Kernmerkmale der Professionalisierung können aber auf Hochschulräte übertragen und angewandt werden – als gedankliches Gerüst zur Überprüfung der Frage, wie weit der Prozess der Professionalisierung in Bezug auf Hochschulräte bereits gediehen ist.

Klare Rolle und Kompetenzprofil, strukturelle Verankerung: Hochschulräte wurden – im Gegensatz zu anderen neuen Hochschulprofessionen – per Gesetz installiert. Ein fester institutioneller Rahmen mit Aufgaben- und Rollenbeschreibung existiert daher – jedenfalls im groben. Welche rollenspezifischen Kompetenzen die individuellen Hochschulrats-Mitglieder haben sollten, ist allerdings wenig klar umrissen. Dies mag auch an einer Sondersituation der Hochschulräte liegen: Die meisten Professionen entstehen dadurch, dass besondere individuelle Kompetenzen in bestimmte institutionalisierte Rollen münden. Erst entstehen Fakten und danach erfolgt eine Formalisierung der Profession. Bei Hochschulräten ist der Ablauf genau umgekehrt: Zuerst wurde die institutionalisierte Rolle neu geschaffen – jetzt stellt sich die Frage, was jemand können muss, der diese Rolle ausfüllen soll. In dieser Hinsicht verläuft der Prozess der Professionalisierung atypisch.

Kompetenzorientierte Auswahl: Nicht jeder ist dazu geeignet, Hochschulrat zu sein. Man muss bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, um eine entsprechende Position einnehmen zu können (zum Beispiel Kenntnis des Hochschulsystems, strategische Kompetenz, Zeitbudget …). Darüber hinaus sind Spezialkenntnisse hilfreich, vielleicht sogar nötig. Aber: Noch eine Besonderheit in Bezug auf die Professionalisierung von Hochschulräten ist, dass Hochschulräte Teamplayer sind und keine Einzelkämpfer. Im Hochschulrat insgesamt müssen bestimmte Kompetenzen abgedeckt sein. Nicht jedes Hochschulratsmitglied kann und muss in allen Bereichen gleichermaßen bewandert sein. Insgesamt ist in einem Hochschulrat ein Perspektiven-Mix entscheidend.

Kompetenzentwicklung/Weiterbildung: Wenn Kompetenzanforderungen definiert sind, stellt sich die Frage, wie diese erworben und ausgebaut werden können. Bezogen auf Hochschulratsmitglieder ist festzuhalten, dass zwar das Forum Hochschulräte als kollegiale Beratung existiert (der Arbeitskreis der Vorsitzenden deutscher Universitäts-/Hochschulräte, ehemals koordiniert von Peter Gaehtgens, scheint nicht mehr aktiv zu sein). Eine in der Fort- und Weiterbildung (auch) von Hochschulräten aktive Institution, die gezielt die benötigten Kompetenzen vermittelt, existiert jedoch bislang nicht.

Etablierung professioneller Standards und Identitätsstiftung über eine Community: Die Selbstreflexion der eigenen Arbeit und die Formulierung von Selbstverständnissen/Standards (codes) hat sich erst in den vergangenen Jahren durch zunehmend institutionalisierten Austausch und formalisierte Netzwerke entwickelt. Aufgrund der heterogenen gesetzlichen Grundlagen ist die Etablierung einer gemeinsamen Identität auf bundesweiter Ebene nur eingeschränkt möglich. Im Handbuch Hochschulräte (2010) und dem Positionspapier der Vorsitzenden deutscher Hochschulräte (2012) sind jedoch Entwicklungen in diese Richtung zu erkennen. Hinzu kommen teilweise entsprechende Aktivitäten auf Landesebene. Hervorzuheben sind insbesondere die Bemühungen in Nordrhein-Westfalen, über eine Konferenz der Vorsitzenden der Hochschulräte an den Universitäten größere Vernetzung zu erreichen. Nicht zuletzt ist diesem Kreis der Impuls für die Grundsätze guter Hochschulführung (2015) zu verdanken.

Unterstützung durch adäquate Support-Strukturen: Hochschulintern erhalten Hochschulräte in der Regel Unterstützung durch eine ihr zugeordnete Geschäftsstelle oder durch die Mitnutzungsmöglichkeit der Hochschulverwaltung. Externe Unterstützung wird etwa im Bereich der Wirtschaftsprüfung oder von juristischen Einzelfallprüfungen in Anspruch genommen. Einer (durchaus vorstellbaren) externen Evaluation, das heißt einer extern begleiteten Begutachtung der bisherigen Schwerpunkte, des praktizierten Vorgehens und der bislang erreichten Ergebnisse hat sich – soweit bekannt – in Deutschland noch kein Hochschulrat gestellt.

Diese Überlegungen lassen sich in folgender Story zusammenfassen: Professionalität in Bezug auf Hochschulräte heißt: In den Hochschulrat werden die Leute berufen, die …
  • in formal adäquat geregelten Strukturen mit einer klaren Rolle und einer klaren Vorstellung der geforderten Kompetenzen agieren,
  • die so ausgewählt wurden, dass sie die richtigen Kompetenzen mitbringen,
  • die sich kontinuierlich weiterentwickeln und spezifisch qualifizieren,
  • die ihre Rolle, Identität und Standards gemeinsam sinnvoll definiert haben und
  • die mit professioneller Unterstützung arbeiten.


3. Gesetzlicher Rahmen und Handlungsspielräume


Fordern die Landesgesetze hinsichtlich dieser fünf Kernmerkmale der Professionalisierung bereits die Professionalisierung von Hochschulräten ein? Sprechen sie die relevanten Punkte an? Schaffen sie Spielräume zur Professionalisierung? Ein Blick in die Gesetzeslage führt zu folgenden Ergebnissen:

Strukturelle Verankerung: Ja, Hochschulräte sind in 15 Ländern (Bremen verzichtet weiter auf einen Hochschulrat) klar per Gesetz installiert. Eine Annäherung an einen übergreifenden Konsens hinsichtlich einer Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist bisher allerdings nur begrenzt erfolgt. Als ein Schritt in diese Richtung ist zwar die Abschaffung des Universitätsrats in Schleswig-Holstein (bis dahin ein hochschulübergreifendes Gremium der Universitäten Kiel, Lübeck und Flensburg) 2013 anzusehen, da ein hochschulübergreifender Rat sich in der Praxis als nicht sinnvoll erwiesen hat. (Brandenburg hält dagegen weiter einen übergreifenden Landeshochschulrat für adäquat.) Insgesamt gesehen ist aber eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen Ländermodelle nicht in Sicht. Selbst bei grundsätzlichen Fragen (wie extern ist der Hochschulrat? Ist er eher beratend oder entscheidend konstruiert?) existiert weiter eine Bandbreite an Umsetzungen. Zudem sind zwar die Aufgaben in den Ländern grundsätzlich jeweils klar umrissen, aber gleichzeitig bleibt die Rollenwahrnehmung des Hochschulrats (vgl. Handbuch Hochschulräte, S. 30) sehr variabel auslegbar. Faktisch überlässt der Gesetzgeber damit die Rollendefinition weitgehend den Hochschulräten selbst. Bemerkenswert ist, dass die Landesgesetze kaum Mindestanforderungen für externe Hochschulratsmitglieder definieren: Nordrhein-Westfalen fordert Leitungserfahrungen. Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern betonen die Notwendigkeit einer Passung zum Hochschulprofil. Acht Länder setzen mindestens Vertrautheit mit dem Hochschulsystem voraus. In drei Ländern finden sich eher vage Formulierungen (Beschreibung der Herkunftsbereiche), Berlin und Brandenburg setzen gar keine Mindestanforderungen. Lediglich Baden-Württemberg thematisiert die Sicherstellung einer Perspektivenvielfalt im Hochschulrat. Damit sind nicht einmal Mindeststandards bundesweit gesetzlich gesichert. Hier besteht eine weitgehend offene Flanke der Professionalisierung!

Kompetenzorientierte Auswahl: Eine Beteiligung des Hochschulrates an Nachbesetzungen/Neubesetzungen des Hochschulrats ist nur in wenigen Ländern vorgesehen, etwa in Baden-Württemberg über die beratende Teilnahme eines Vertreters des Hochschulrats an den Sitzungen der Findungskommission oder in Bayern durch eine Gelegenheit zur Stellungnahme. In Hamburg und Schleswig-Holstein (nicht Universität zu Lübeck) erfolgt die Zuwahl eines weiteren Mitglieds tatsächlich durch den Hochschulrat (eine nicht sehr überzeugende Zweistufigkeit!); in Nordrhein-Westfalen und Thüringen ist der Hochschulrat im Auswahlgremium vertreten. Formell gesehen haben Hochschulräte bei der Frage der Besetzung also meist einen geringen Einfluss.

Kompetenzentwicklung/Weiterbildung von Hochschulrats-Mitgliedern: Eine Verpflichtung oder wenigstens Ermutigung zur Weiterbildung von Hochschulräten findet sich in keinem Hochschulgesetz. In drei Ländern besteht jedoch eine Befristung der Amtszeit: In Baden-Württemberg (maximal 9 Jahre), Bayern (maximal 8 Jahre) und Schleswig-Holstein – Stiftungsrat der Universität zu Lübeck – (maximal 2 Amtszeiten) droht regelmäßiger Erfahrungsabbruch.

Unterstützung durch adäquate Support-Strukturen: Die Einrichtung einer Geschäftsstelle bzw. eine aufgabengerechte Ausstattung sehen die Hochschulgesetze in fünf Ländern vor. In zehn Ländern existiert keine entsprechende Regelung. Eine explizite Erlaubnis, externe Sachverständige zu beauftragen (etwa in Bezug auf Wirtschaftsprüfung), findet sich nur in Hamburg und Nordrhein-Westfalen.

Etablierung professioneller Standards und Identitätsstiftung über eine Community: Zu Fragen der Rollenklärung, professioneller Standards, Vernetzung oder Selbstreflexion finden sich keine Anhaltspunkte in den Hochschulgesetzen. Damit sind solche Aktivitäten nicht verboten – aber seitens der Länder wird damit auch nicht gerade dazu ermuntert ...


4. Fazit


Die Professionalisierungsdebatte ist für Hochschulräte relevant. Auch wenn in einzelnen Aspekten die Professionalisierung atypisch verläuft (etwa die vertauschte Reihenfolge der Etablierung: erst das Formale, dann das Faktische), sind die entsprechenden Kategorien grundsätzlich durchaus übertragbar. Sie sind geeignet, den Status quo strukturiert zu reflektieren. Sie leisten auch einen wertvollen Beitrag bei den Bemühungen, Weiterentwicklungsmöglichkeiten oder sogar -bedarf zu identifizieren.

Die Landeshochschulgesetze setzen in Bezug auf Hochschulräte wenig Standards. Damit fordern sie die weitere Professionalisierung der Hochschulräte nicht wirklich ein. Gleichzeitig lassen sie aber entsprechende Schritte zu. Somit besteht großer Gestaltungsspielraum, es ist viel der Eigenverantwortung vor Ort überlassen! Diese Freiheit gilt es zu nutzen – für die Professionalisierung sind also im wesentlichen Hochschulrat und Hochschule gemeinsam verantwortlich.

Längst sind noch nicht alle Fragen gelöst. In den nächsten Jahren werden dabei vor allem folgende Punkte zu diskutieren sein:
  • Ist eine weitere Annäherung der länderspezifischen Vorstellungen eines Hochschulrats wünschenswert?
  • Wie sollen identifizierte Erfolgsfaktoren implementiert werden: über den rechtlichen Rahmen, über landes- oder bundesweite konsensuale Vereinbarung von good practices oder eher in dezentraler Verantwortung über hochschulspezifisch adäquate Ausgestaltung in der Praxis?
  • Führt ein wachsendes hochschulübergreifendes, professionelles Selbstverständnis von Hochschulräten unter Umständen dazu, dass sich der Hochschulrat zu sehr von den Hochschulen absetzt?
  • Besteht seitens der Hochschulräte die Bereitschaft, Weiterbildung über den kollegialen Austausch hinaus zu akzeptieren und wahrzunehmen?