Im Profil: Fünf Fragen an Hochschulrat Marianne Demmer


Was motiviert Sie persönlich, sich im Hochschulrat zu engagieren?

Nach Pensionierung und Ausscheiden aus dem Geschäftsführenden Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft waren für mich zwei Motive wichtig: Ich wollte wieder in meiner ländlichen Heimatregion leben und mich auf jeden Fall neben künstlerischen Aktivitäten weiterhin bildungspolitisch betätigen. Die Berufung in den Hochschulrat der Universität Siegen kam mir da sozusagen wie gerufen. Für mich schloss sich biografisch ein Kreis. Denn ich war bereits Mitglied im Gründungssenat der Hochschule, die vor gut 40 Jahren als Gesamthochschule aus dem Zusammenschluss von Fachhochschule und Pädagogischer Hochschule hervorging und in der Folge den Studien- und Forschungsbetrieb auch in neuen universitären Studiengängen aufnahm.

Ich denke, dass ich ein typisches Exemplar der ersten Bildungsreform bin – ein zwar nicht katholisches, sondern evangelisches Mädchen vom Lande – das als erstes im gesamten Familienclan Abitur machte und studierte. Die Bildungspolitik hat mich nie losgelassen.

Die hochschulpolitische Entwicklung der letzten Jahre habe ich zum Teil mit großer Skepsis verfolgt. Ich halte es für ein falsch verstandenes Verständnis von Autonomie, wenn für Hochschulen Konkurrenz und wirtschaftliche Tätigkeit im Vordergrund stehen. Hochschulen sind jedoch Einrichtungen der Gesellschaft und ihr verantwortlich. Es bedarf meiner Ansicht nach eines gesellschaftlichen Dialogs mit dem Ziel, das Spannungsfeld von Wettbewerb und Kooperation auszuloten. Wann ist Wettbewerb und wann ist Kooperation im Sinne eines nachhaltigen gesellschaftlichen Nutzens die geeignete Strategie?

Ich halte es für schädlich, wenn der Einfluss der Wirtschaft zu groß wird. Ich bin überzeugt, dass Bildung, Wissenschaft und Forschung eine eigene Würde haben und nach eigenen Prinzipien und Systematiken funktionieren und nicht marktwirtschaftlichen Prinzipien nachgebildet werden sollten.

Ein besonderes Konfliktfeld sehe ich darin, wie die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre verteidigt werden kann, wenn Universitäten von Drittmitteln der Wirtschaft in höherem Maße abhängig werden und entsprechende Forschungen gleichzeitig der Geheimhaltung unterliegen. Die Diskussion um Zivilklauseln als Selbstverpflichtung der Hochschulen zeigt zum Beispiel, welch sensible Fragen im Zusammenhang des gewachsenen Einflusses der Wirtschaft virulent sind und noch längst nicht abschließend beantwortet sind. Kurz gesagt, ich wollte auch deutlich machen, dass die Mitgliedschaft von Gewerkschaftsvertretern in Hochschulräten selbstverständlich sein muss.


Welche Themen liegen Ihnen in Ihrer Hochschulratsarbeit am Herzen?

In den letzten Jahren haben die Auseinandersetzungen um das Hochschulzukunftsgesetz der Nordrhein-Westfälischen Landesregierung sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit beansprucht. Ich habe es begrüßt, dass Gleichstellungsfragen, Transparenz und Partizipation darin eine wichtige Rolle spielen und auch politisch heiße Eisen wie der Umgang mit drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten angepackt wurde.

Konkret achte ich besonders auf die pädagogischen Ausbildungsgänge und die Arbeits- und Studienbedingungen. Wenn ich es mir genau überlege, orientiere ich mich in meiner Arbeit bis heute am Gründungsauftrag der fünf Gesamthochschulen in Nordrhein-Westfalen (Siegen, Wuppertal, Essen, Duisburg, Paderborn): die theorie- und praxisorientierte Ausbildung enger miteinander zu verknüpfen, mehr Durchlässigkeit und Chancengleichheit im Bildungssystem herzustellen und die Regionalisierung des Studienangebotes und des Forschungspotenzials voranzubringen.


Auf welche Entwicklung an Ihrer Hochschule sind Sie besonders stolz?

Es gibt vieles, worüber ich mich freue. Der Universität Siegen ist es eindrucksvoll gelungen, von rund 4.000 Studierenden in der Gründungsphase auf nunmehr knapp 20.000 zu expandieren. Die anfängliche Skepsis in der Bevölkerung ist gewichen. Die Universität ist in der Region „angekommen“. Dies zeigt sich an zahlreichen Forschungsaktivitäten, die sich auf regionale Fragen von überregionaler Bedeutung beziehen. Besonders deutlich wird die regionale Verankerung durch den Umzug einer Fakultät vom peripher gelegenen Campusgelände in die Stadtmitte, in das Untere Schloss. Junge Menschen werden also Siegens Stadtzentrum demnächst wieder prägen.

Das Motto der Universität "Zukunft menschlich gestalten" wird nicht nur proklamiert, sondern durch das Forschungskolleg FOKOS mit Leben gefüllt. Das Forschungskolleg basiert auf einer gemeinsamen Initiative der Universität Siegen, des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stiftung Zukunft der Sparkasse Siegen. Ziel ist, die interdisziplinäre und fächerübergreifende Forschung zu Zukunftsfähigkeit und Zukunftsgestaltung zu fördern und deren internationale Vernetzung voranzutreiben. Das Kolleg folgt dabei der Erkenntnis, dass die Gestaltung einer menschenwürdigen und nachhaltigen Zukunft die Grenzen der herkömmlichen Fachdisziplinen überschreiten muss.

Die Universität steht finanziell zufriedenstellend da und wird von einem national und international aktiven und kooperativen Rektorat geführt. Die Leitungsgremien der Hochschule arbeiten insgesamt respektvoll und konstruktiv zusammen. Entsprechend meinen inhaltlichen Präferenzen begrüße ich es sehr, dass das Thema Inklusion in einem umfassenden Sinne in der Lehrerbildung und den pädagoigischen Studiengängen eine wichtige Rolle spielt. Dieser Spirit hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass sich viele Studierende und Beschäftigte als ehrenamtliche Helfer bei der Betreuung von Flüchtlingen engagieren. Die Sporthalle der Universität und eine Schule auf dem Campusgelände dienen bis nächstes Jahr als Notunterkunft für die Erstaufnahme von Flüchtlingen.

Nicht unerwähnt bleiben darf die aktive Gleichstellungspolitik, die mehrfach mit dem Prädikat TOTAL E-QUALITY ausgezeichnet wurde. Die Kinderbetreuung ist vorbildlich. Die Universität ist als „familiengerechte Hochschule“ zertifiziert. Und nicht zu vergessen: Der Hochschulrat der Universität Siegen ist geschlechterparitätisch besetzt.


Was würden Sie ändern, damit Hochschulräte noch besser arbeiten können?

Es sollte selbstverständlich werden, dass in Hochschulräten und im Vorsitz die Sozialpartner und Vertreter der Zivilgesellschaft gleichmäßig vertreten sind. Das derzeitige Übergewicht von Wirtschaftsvertretern wird in den Universitäten und der Gesellschaft kritisch diskutiert und ist für die Akzeptanz von Hochschulräten oft nicht förderlich.

In praktischer Hinsicht ist Zeitmangel das Hauptproblem vor allem bei denjenigen Mitgliedern, die voll berufstätig und wenig zeitflexibel sind. Wer nicht will, dass in Hochschulräten überwiegend Pensionäre und Menschen mit eigenen Büros tätig sind, muss dieses Problem zur Kenntnis nehmen. Allerdings weiß ich, dass es hier kein Allheilmittel gibt. Da die Tätigkeit in Hochschulräten ehrenamtlich und Hauptberuflichkeit keine Option ist, sollten jedoch eine angemessene Aufwandsentschädigung zur Finanzierung unterstützender Dienstleistungen – zum Beispiel der Betreuung Angehöriger – und eine personell sehr gut ausgestattete Geschäftsstelle des Hochschulrats selbstverständlich sein. Auf jeden Fall muss darauf geachtet werden, dass sowohl die Mitgliedschaft wie der Vorsitz in einem Hochschulrat auch dann möglich sind, wenn die persönlichen Umstände schwierig sind.


Welchen Tipp würden Sie zukünftigen Hochschulratsmitgliedern mit auf den Weg geben?

Wenn es ihnen zeitlich irgend möglich ist, sollten externe Mitglieder den Kontakt zu den Einrichtungen der Hochschule suchen, sich für die Fragen und Probleme der Studierenden und Beschäftigten interessieren und sich nicht auf die unmittelbare Arbeit im Hochschulrat beschränken. Man braucht interne Informationen und ein Gefühl dafür, wie die Hochschule "tickt".

Die Arbeit des Hochschulrats muss transparent sein, um nicht misstrauisch als abgehobenes Gremium angesehen zu werden, das undurchsichtige Beschlüsse fasst. Ebenso wichtig ist es, die Verbindung zum lokalen Umfeld aktiv mitzugestalten. Gerade in ländlich geprägten Regionen, die nicht seit Generationen an akademisches Leben gewöhnt sind, ist es sehr wichtig, die Vorzüge einer Universität "vor Ort" deutlich zu machen. Gleichzeitig sollte man eigene nationale und internationale Kontakte nutzen, um die Vorzüge eines Lebens und Arbeitens in der Provinz deutlich zu machen.